Lehrkonzept für Digital Humanities

Wie im vergangenen Blogbeitrag angekündigt wurde im gerade abgeschlossenen Sommersemester 2015 von mir ein sogenannter P/E-Kurs (Projekt- und Ergänzung) im Bachelor-Studiengang des Fachbereichs Informationswissenschaften an der FH Potsdam durchgeführt. Für diese Veranstaltung hatten sich 14 Studierende aus den Studiengängen Bibliothek, Archiv sowie Dokumentation und Information angemeldet, von denen 13 den Kurs abgeschlossen haben. In diesem Blogbeitrag soll darüber berichtet werden, welche Erfahrungen mit dem Lehrkonzept für Digital Humanities gesammelt werden konnten.

Dreh- und Angelpunkt des Kurses war die kollaborative Wissenschaftsplattform für Digital Humanities und Citizen Science www.kudaba.de. Anhand dieser Website wurden die im Zusammenhang stehenden Themen teilweise von mir vermittelt wie z.B. die Einführung in WordPress als Content-Management-System, Schutzmaßnahmen für Internetseiten, Anfertigung von Objekt-Beschreibungen in der kudaba und digitale Bildbearbeitung. Größtenteils jedoch wurden die Inhalte durch die Studierenden selbst erarbeitet und vorgetragen, u.a. zu Begrifflichkeiten wie Digital Humanities, Citizen Science, Open Access, Langzeitarchivierung, Forschungsdatenmanagement, Big Data oder Themenbereiche wie Lizenzierungsmodelle, Rechte und Pflichten bei Digitalisierungsprojekten sowie Metadatenstandards in den Digital Humanities.

Die oben genannten Themen sind in dieser Intensität selbst für Studierende der Informationswissenschaften zum großen Teil neu, gänzlich neu ist jedoch erst recht die Auseinandersetzung mit Kulturgütern selbst sowie deren Erschließung und Digitalisierung. Es handelt sich demnach hierbei um ein fachübergreifendes Lehrkonzept, das letztlich auch in umgekehrter Richtung in den Kulturwissenschaften oder in ganz anderen Studiengängen anwendbar ist, die interdisziplinäre Lehre und forschendes Lernen praktizieren. Das Lehrkonzept beinhaltet dabei mehrere Leistungsnachweise, die von den Studierenden in Teilaufgaben zu erfüllen waren und die je nach benötigtem Zeitaufwand unterschiedlich in der Gesamtnote gewichtet wurden:

  1. Zunächst sollten die Studierenden ein Gefühl für die Arbeit in WordPress bekommen und dessen Möglichkeiten und Grenzen kennenlernen. Sie hatten deswegen ein selbst ausgewähltes Objekt im öffentlichen Raum zu fotografieren, die Fotos entsprechend für die Webpräsentation aufzuarbeiten, Hintergrundinformationen zum Objekt zu recherchieren und letztendlich diesen Content zusammen als eigenständigen Objekt-Beitrag – zunächst als Entwurf – in der kudaba zu erstellen. Diese Aufgabe schulte – wenn nicht bereits vorhanden – nicht nur den technischen Umgang mit einer Fotokamera und mit einer Bildbearbeitungssoftware, sondern öffnete auch den Blick auf Kulturobjekte und die jeweiligen unterschiedlichen Ansichten in dokumentarischer und kulturhistorischer Hinsicht.
  2. Anschließend hatten sie einen anderen Objekt-Beitrag ihrer Kommiliton*innen anhand der gleichen Qualitätskriterien wie für ihr eigenes Objekt zu beurteilen bzw. den Autor*innen des anderen Objekt-Beitrags ein Feedback zu schreiben. Es wurde dabei vor allem auf die vermittelnde Tonlage geachtet, die es in konstruktiver und empathischer Weise der Gegenseite ermöglicht, Kritik positiv und zielführend anzunehmen. Diese Rückmeldung liefert nicht ausschließlich Hinweise für den begutachteten Objekt-Beitrag, sondern lässt sehr häufig den Feedback-Gebenden reflektieren, was bei dem eigenen Objekt-Beitrag nicht korrekt ist. Dieser Begutachtungsprozess wirkt sich also in beide Richtungen positiv aus, wobei angemerkt werden muss, dass in wenigen Fällen auch falsche Vorgehensweisen anschließend übernommen wurden. In jedem Fall führt dieser Vorgang dazu, dass die Studierenden sich in einem zweiten Schritt mit ihrem eigenen Leistungsnachweis und dem ihrer Kommiliton*innen noch einmal konzentriert auseinandersetzen. Bewertet wurden anschließend das gegebene Feedback zu 10 % der Gesamtnote und der abschließend überarbeitete Objekt-Beitrag zu 20 %. Die besten, der angefertigten Objekt-Beiträge werden noch abschließend redaktionell von mir bearbeitet und dann in der kudaba veröffentlicht, wie z.B. dieser.
  3. In der Mitte des Semesters wurden dann von allen Kurs-Teilnehmenden Kurzreferate in der Länge von zehn bis 15 Minuten über Themen gehalten, die in Zusammenhang mit der kudaba-Plattform stehen. Z.B. wurden die Begriffe Digital Humanities und Citizen Science anhand von Literatur, Projekten und Webseiten vorgestellt, sodass sich im Plenum eine Vorstellung über deren Interpretation, die Inhalte und Bedeutungen bilden konnte. Auch die Themen Langzeitarchivierung, Open Access, rechtliche Aspekte bei digitalen Angeboten und technische Grundlagen wie Metadatenstandards sind anhand eines konkreten Anwendungsbeispiels eindrücklicher zu verstehen. Die Kurzreferate flossen zu 10 % in die Gesamtnote mit ein.
  4. Der größte Arbeitsauftrag (50 % der Gesamtnote) für die Studierenden waren Kleingruppenarbeiten zu zuvor abgestimmten Themen. Diese konnten technischer oder abstrakter Natur, Literatur- und Quellenrecherche zu kulturhistorischen Themen, konkrete Anwendungen zur Digitalisierung von Kulturgütern oder Anleitungen zur Mitarbeit in der kudaba sein. Somit wurde u.a. ein Businessplan für die kudaba mit neuen Dienstleistungsideen und Unternehmensformen erstellt, zwanzig historische Ansichtskarten digitalisiert und transkribiert, aber auch ein WordPress-Plugin getestet, mit dem sehr ansehnlich die Objekt-Beiträge auf einer gemeinsamen OpenStreetMap-Karte verortet bzw. dargestellt werden können. Des Weiteren wurden von einer Gruppe Plugins getestet, mit denen Formatvorlagen für die einfacherere Bearbeitung von Objekt-Beiträgen angefertigt werden können. Eine Gruppe recherchierte die Geschichte der Schwengelpumpe in Archiven und in der Literatur. Schlussendlich wurde auch ein Video gedreht, um zur Mitwirkung an der kudaba anzuregen.
    Hierbei gelangte nicht jede Gruppe zu einem erfolgreichen Ergebnis. Darauf kam es aber auch gar nicht an: ausschlaggebend für die Bewertung war die Projektdokumentation, die transparent darstellen sollte, wann welche Treffen stattfanden, mit welchen Ergebnissen und Absprachen diese endeten, welche Meilensteine gesetzt und schließlich umgesetzt worden waren und wie der Projektprozess abschließend eingeschätzt bzw. reflektiert wurde. Natürlich wurden auch die Ergebnisse in einer Kursveranstaltung vor allen Teilnehmenden präsentiert. So erhielten auch Gruppen sehr gute Noten, obwohl das Arbeitsergebnis selbst – aus verschiedenen Gründen – ein Fehlschlag war.
  5. Bewertet wurde auch die mündliche Beteiligung in den Kursveranstaltungen zu 10 % der Gesamtnote.

Zu einem großen Anteil war es das Ziel dieser Aufteilung der Leistungsnachweise, die vielfältigen Bereiche und Aktivitäten möglichst umfassend zu behandeln, die im Zusammenhang mit einer Wissenschaftsplattform dieser Ausrichtung stehen. Ziel war es aber auch, dass die Studierenden die Möglichkeit erhalten, ihre jeweiligen Stärken und Schwächen in der Bewertung auszugleichen. Letzteres ist definitiv eingetreten: Waren die schriftlichen Leistungsnachweise beim Feedback und Objekt-Beitrag nicht so gut bewertet, so wurden diese in der Regel durch die mündlichen Komponenten wie Diskussionsbeteiligung, Kurzreferate und Gruppenarbeit gut ausgeglichen; und umgekehrt. Die verschiedenen Aufgabentypen aktivierten bei den Studierenden jeweils sehr unterschiedliche Kompetenzen und Fertigkeiten. Bei einem einzigen Leistungsnachweis (z.B. Klausur) wäre dies nicht der Fall gewesen. In erster Linie sollte jedoch ein erstes Projektmanagement vermittelt werden, indem beispielhaft die verschiedenen Arbeitssituationen der späteren Praxis durchlaufen werden: Arbeitsauftrag für eine Einzelperson, schriftliche Rückmeldungen an Andere, Kurzvortrag vor einer Arbeitsgruppe, klassische Gruppenarbeit mit all seinem Konflikt-, aber auch Anregungspotenzial sowie Gruppendiskussionen. Jeder einzelne Leistungsnachweis wurde von mir mit einer zeitnahen Bewertung und kurzen, schriftlichen Rückmeldung zu den positiven und weniger positiven Ergebnissen beantwortet, damit schon während des Kursverlaufs der eigene Stand reflektiert werden konnte.

In einem abschließenden Feedback des gesamten Kurses durch die Studierenden wurde neben den unklaren Kommunikationswegen über Moodle und Mail vor allem die hohe Anzahl an Leistungsnachweisen und der große Arbeitsaufwand dafür stark kritisiert. Ebenso wurde bemängelt, dass zu wenig Freiraum für Gespräche zu den Einzelthemen in den Veranstaltungen bestanden habe. Diese Kritik nehme ich in der Weise an, dass auch ich selbst mehr Zeit für Diskussionen eingeplant hatte, die aber aus organisatorischen Gründen ausfallen mussten. Die Arbeit mit Moodle als E-Learning-Plattform muss sicherlich intensiviert und dessen Möglichkeiten besser ausgeschöpft werden. Auch die Gewichtigung der Bewertungen der einzelnen Leistungsnachweise sollte m.E. etwas nachjustiert werden, die konkreten Arbeitsaufwände würden dabei auch ein wenig reduziert werden müssen. Allerdings betrachte ich die Aufteilung der einzelnen Arbeitsschritte im Kursverlauf in mehrere Leistungsnachweise als erfolgreich, da gleichzeitig von den Studierenden positiv beschieden wurde, dass diese Aufgaben auch sehr viel Spaß gemacht hätten. Vor allem weil sie abwechslungsreich und im Gegensatz zum übrigen Studium praktischer Natur waren. Auf jeden Fall seien die konkrete Arbeit in WordPress, in der kudaba und die Auseinandersetzung mit den Themenbereichen wie Digital Humanities und Citizen Science eine Bereicherung gewesen, die von Einzelnen wohl auch in Zukunft weiterhin verfolgt würden. Die Studierenden haben es insgesamt als sehr angenehm empfunden, sehr zügig Rückmeldungen auf die Leistungsnachweise und auf Fragen erhalten zu haben.

Mein eigenes Fazit lautet, dass die vorgestellte Lehrkonzeption auch auf der Dozentenseite sehr zeit- und arbeitsaufwändig ist, was nicht von allen Dozierenden an jeder Hochschule so durchgeführt werden könnte. Allerdings bin ich der – vielleicht sehr subjektiven – Meinung, dass die Simulation eines realen Projektmanagements mit praktischen Arbeitsaufgaben und anschließenden nachvollziehbaren Ergebnissen, aufgeteilt in mehreren Projektphasen und in Zusammenhang mit einer intensiver betriebenen Feedbackkultur nicht nur die Freude an den Inhalten weckt, sondern auch gut auf die spätere Praxis vorbereitet. Ich persönlich habe sehr viele positive Erfahrungen in Zusammenarbeit mit den Studierenden dieses Kurses sammeln können, vor allem habe ich viele Anregungen und Rückmeldungen zum kudaba-Projekt erhalten. Ich bin daher den Studierenden für ihr engagiertes Mitwirken und -denken sehr dankbar.

kudaba-Semesterprojekt an der FH Potsdam

Direkt nach Ostern wird vom 7. April bis zum 14. Juli 2015 an der Fachhochschule Potsdam eine einsemestrige Projekt-Veranstaltung beginnen. Im Sommersemester werden 15 Bachelor-Studierende des 6. Semesters am Fachbereich Informationswissenschaften unmittelbar an der Weiterentwicklung der kudaba mitwirken. Zunächst werden Sie eigene, neue Objekte einstellen. Dies dient zum ersten Kennenlernen von WordPress an sich und dem eigenen Erfahren notwendiger Arbeitsschritte innerhalb der Wissenschaftsplattform. Parallel dazu werden die Studierenden Kurzreferate zu Themen wie Digitalisierung, Rechte, Forschungsdatenmanagement, Open Access, Metadatenstandards, Digital Humanities sowie Citizen Science vortragen und gemeinsam darüber diskutieren, wie diese Themenbereiche optimal berücksichtigt werden können und müssen. Die Hauptaufgabe wird jedoch die Bearbeitung eines abgegrenzten Themas in Kleingruppen sein, die einzelne Bereiche der kudaba weiterentwickeln. Die Kulturdatenbank kudaba erfährt dadurch sicherlich viele Anregungen, die eine oder andere Weiterentwicklung, aber es werden auch Fehler entdeckt und Bewährtes kann weiter gestärkt werden. Die Studierenden erfahren auf diese Weise konkrete Projektarbeit mit Meilensteinen und Deadlines in einer größeren Gruppe und in Kleingruppen. Außerdem wird es spannend sein zu beobachten, wie die jeweiligen Vorkenntnisse und -erfahrungen der Studierenden aus den drei Studiengängen „Bibliotheksmanagement“, „Archiv“ sowie „Information und Dokumentation“ am Fachbereich zu gemeinsamen Ideen und Konzepten heranreifen. Ich freue mich als Dozent auf diesen erkenntnisreichen Prozess und bin sehr gespannt, was für Ergebnisse dabei am Ende herauskommen werden.